Leere Regale, vollmundige Versprechen und libertärer Paternalismus (Teil I)

2’413 Wörter / ca. 12 Minuten

 

Der Polemik zuliebe aufs Ganze zu gehen, ist bisweilen ein Vergnügen. Und weil Meinungsstärke zur Abwechslung ihre Berechtigung hat, steckt das Glück in einem gepfefferten Text über amerikanischen Neoliberalismus und leere DDR-Regale. Da eine Auseinandersetzung mit solchen Themen, so sie denn nicht nur polemisch, sondern auch informativ sein soll, jederzeit auszuufern droht, kommt der Text in zwei Teilen.

 

Unverhofftes Glück

 

Das Glück liege auf der Strasse, meinen vor allem diejenigen, die auch fest daran glauben wollen, der Mensch sei seines eigenen Glückes Schmied. Mag mensch auch zurecht über die Richtigkeit solcher Sinnsprüche räsonieren: In Leipzig trifft zumindest das mit der Strasse im wörtlichen Sinn zu. Neben einem Merino-Kashmir-Pullover in Lila fand ich «Nudge» – Schubser – der amerikanischen Professoren Richard Thaler und Cass Sunstein in deutscher Übersetzung.

 

Wer sich nicht zu schade ist, mit Gebrauchtem Vorlieb zu nehmen, findet in Leipzig fast an jeder Ecke Verschenkekisten. (© Fabian Schwitter)

 

Beides steckte ich, ohne zu zögern, ein. Den Pullover beglückt, das Buch vage interessiert mit der Absicht, vielleicht einmal darin zu lesen. Kürzlich gelang mir letzteres tatsächlich. Bereits nach ein paar Seiten der Einleitung schubste mich das Buch in Richtung der Ungerechtigkeit, darüber zu schreiben, noch bevor ich mir auch nur annähernd ein Bild im Ganzen gemacht habe. Und ich will ehrlich sein: Das Buch in seiner Gänze zu lesen, kann ich mir nicht vorstellen.

 

Die Professoren Thaler und Sunstein

 

Was soll’s. Eines glaube ich mit Sicherheit sagen zu können: Thaler und Sunstein haben sich auch kein Bild vom Ganzen gemacht. Mögen beide entfernte Verwandte aus dem jüdischen Schtetl Osteuropas haben, so stammen alle ihre unmittelbaren Vorfahren aus Nordamerika. Ihre Familien sind längst mittelständisch genug geworden, dass sie wenig zu befürchten haben. Sunsteins Vater immerhin muss ein Bauarbeiter gewesen sein. Etwas enttäuscht bin ich natürlich, nicht auf eine Professor:innendynastie gestossen zu sein. Sie hätte zumindest in mein Bild des Ganzen gepasst.

 

 

Sollte das Milieu der Bauarbeiter:innen jemals eine Rolle im Leben Thalers oder Sunsteins gespielt haben, so sind sie diesem längst entwachsen. Sunstein ist Professor in Harvard, einer der altehrwürdigsten und renommiertesten Privatuniversitäten an der Ostküste der Vereinigten Staaten. Thaler, immerhin Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaft, arbeitet an der University of Chicago Booth School of Business, der Betriebswirtschaftsabteilung der Wirtschaftsfakultät.

 

Eine Gesellschaft des Grauens

 

Beim who is who der Abgänger:innen dieser Ausbildungsstätte kommt mir das Grauen. Gründer:innen und Vorsitzende so sinisterer Investmentfirmen wie Blackrock, Blackstone oder Bain Capital und zweifelhafter Banken wie Goldman Sachs, Lehmann Brothers oder Morgan Stanley – erinnert sei an die Finanzkrise von 2008 – figurieren auf der Liste. Ihr einstiger Abgänger David G. Booth versorgte die Booth School mit der grössten Geldspende, die eine Business School weltweit je erhalten hat: 300’000’000$. Selbstverständlich amtet er als lebenslängliches Mitglied des Beirats der Booth School, die aufgrund seiner Spende auch seinen Namen trägt.

Dass die University of Chicago überdies berühmt ist für einen Vordenker der neoliberalen Wende in den Achtzigerjahren, passt ins Bild. Thaler und Sunstein zitieren ihn mit der Forderung, dass die Leute «frei sind zu entscheiden», schon auf der sechsten Seite: Milton Friedman beriet mit Ronald Reagan und der Eisernen Lady Grossbritanniens, Margaret Thatcher, die Vollstrecker:innen der neoliberalen Wende, die den Sozialstaat der Nachkriegszeit liquidierten.

 

Das selbstgefällige Grinsen des Milton Friedman

 

Immerhin gewann auch Friedman den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaft. Das Heil suchte er in einem möglichst schlanken Staat, um die wirtschaftliche Entfaltung zu steigern. Mögen seine wissenschaftlichen Arbeiten auch nobelpreiswürdig sein, so ekelt mich die Art, wie er seine Überzeugungen öffentlich präsentiert, regelrecht an. Tritt er bisweilen auf wie der Weise mit der Weltformel, verfällt er – bei allem Respekt für die Wissenschaft – einer Dogmatik, die dem wissenschaftlichen Sozialismus in nichts nachsteht. Friedmans selbstgefällige Ignoranz jedoch glaube ich – ob das an ihrer geteilten Tätigkeit liegt? – nicht nur in Sunstein, der ihm verblüffend ähnelt, sondern auch in Thaler wiederzufinden, wenn ich mir ihre Bilder anschaue.

 

Das Grinsen Milton Friedmans, wie auf dem Cover seines Hoover-Essays, versetzte mich schon immer in Aufregung. (© Fabian Schwitter)

 

Noch 1993 klärte Friedman in seinem Hoover Essay unter dem Titel «Why Government Is the Problem» (Warum die Regierung des Problems ist) die breite Öffentlichkeit über das drohende Scheitern der Vereinigten Staaten auf, weil die Regierung sich mit zersetzender Wirkung in den freien Markt mische. An unterschiedlichen Beispielen verdeutlicht er die Ineffizienz von Regierungsprogrammen vom Verkehrswesen über das Bildungs- und Gesundheitswesen bis hin zur Familienpolitik, die er für den vermeintlichen Verfall von Familienwerten verantwortlich macht.

 

Hinterhältige Rhetorik und unredliche Vergleiche

 

Die dünne Schrift zieht zwar eine bemerkenswerte Schlussfolgerung in Sachen Reform des demokratischen Systems: Amtszeitbeschränkungen. Allerdings sind die Argumente bis dahin ebenso haarsträubend wie die rhetorischen Tricks. Gerne stellt Friedman Behauptungen auf, um die Beweislast dem Gegenüber aufzubürden: «I challenge you to find exceptions.» (Ich fordere Sie heraus, Ausnahmen zu finden.) Die schwächsten Gegenbeispiele zu seinen Thesen anzufügen, ist er sich kaum zu schade.

Die Kritik am Industriekapitalismus, er zerstöre rücksichtslos die Umwelt, kontert er mit einem Verweis auf die Umweltzerstörungen in der Sowjetunion. Dass sein Denken – er lebte von 1912 bis 2006 – geprägt war vom Kalten Krieg, verwundert nicht. Verheerend ist allerdings, dass dieses gerade in den USA bis heute den Grundton wirtschaftsliberaler Bestrebungen bildet, erregt doch nur schon das Wort ‹Sozialismus› bei manchen inquisitorischen Eifer. Legitimierte unter anderem die Abgrenzung vom Ostblock die neoliberale Wende in den Achtzigerjahren, so zehrt sie bis heute von ihrer Bestätigung durch den Fall des Eisernen Vorhangs.

 

Die verführerische Markt- und die dröge Planwirtschaft

 

Ohne Zweifel ist die freie Marktwirtschaft ein weitaus intelligenteres Konzept als die Planwirtschaft. Geradezu wundersam mutet ihr Kerngedanke an, den auch Friedman anführt: «People who intend only to seek their own benefit are ‹led by an invisible hand to serve a public interest which was no part of› their intention. (Leute, die nur ihren eigenen Vorteil zu verfolgen beabsichtigen, werden von einer unsichtbaren Hand geführt, dem öffentlichen Interesse zu dienen, das gar nicht Teil ihrer Absicht war.)» Die vielzitierte Wendung von der unsichtbaren Hand des Markts formulierte der schottische Professor Adam Smith in seinem Buch «Der Wohlstand der Nationen» bereits 1776.

 

Auch aus dem Gesicht Adam Smiths, des Begründers der modernen Ökonomie, scheint diese Selbstgefälligkeit zu sprechen. (Unbekannter Maler, Gemeinfrei)

 

Dass ein solcher Gedanke intellektuell wesentlich attraktiver ist als die schnöde Buchhalterei einer Planwirtschaft mit ihrem Kontrollwahn, scheint mir zwar fraglos. Das macht ihn aber nicht zwingend richtig. Alle Attraktivität enthebt auch ein solches Konzept, mag es eine noch so überwältigende Dynamik freigesetzt haben, nicht der Kritik. Die wiederkehrende Negativfolie der Planwirtschaft führt eine wirtschaftsliberale Demokratie wie die Vereinigten Staaten vielmehr zu Einseitigkeit und Selbstgefälligkeit, sodass sie bald auf dasselbe Niveau von Stumpfheit herabsinkt, die sie planwirtschaftlichen Bürokrat:innen vorwirft.

 

Begrenzte Zeit, enger Raum

 

Zugunsten der eigenen Ideologie verschwindet jedes Augenmass. Und die Tatsache, dass die Geschichte fortschreitet, gerät aus dem Blick. Friedman erscheint angesichts seiner Forderung nach beherztem Unternehmer:innentum nicht nur seltsam konservativ, wenn er sich die Zeit der Einwanderung seiner Eltern in die USA und bestimmte Familienwerte zurückwünscht, sondern – angesichts einer vergangenen Zeit – fast schon so weinerlich wie später manche Ostalgiker:innen quer durch den postsozialistischen Raum. Die Folgen dieser reaktionären Geisteshaltung brauchen angesichts des Ukraine-Kriegs kaum mehr hervorgehoben zu werden.

Dass die freie Marktwirtschaft in ihrer radikalen Ausprägung, d.h. ganz ohne staatliche Eingriffe, nur funktioniert, wenn die Bewegungsfreiheit der Menschen nicht eingeschränkt wird, wirft ein schiefes Licht auf wirtschaftsliberalen Debatten. Friedman reagiert in seiner zehnteiligen Fernsehsendung «Free to Choose» von 1980 nur zaghaft auf den Einwand, diese sei in den Vereinigten Staaten nicht gegeben, auch wenn er bezüglich der Einwanderung von China nach Hong Kong die Freiheit betont, mit den Füssen zu wählen.

 

Markt und Migration

 

Bis heute stellt die Migration eine der grössten Herausforderungen für westliche Industriestaaten dar und sorgt für die rechtspopulistische Allianz zwischen ‹kleinen Leuten› und Grosskapital, das sich mittlerweile so schamlos aufführt wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Das ist in den USA mit ihrer ‹border wall› – was für ein Echo auf die Berliner Mauer – an der Grenze zu Mexiko nicht anders als in Europa, wo vorgeschobene Grenzposten bereits in Niger die Migration einzudämmen versuchen.

 

Die Border Wall, die Mexico von den Vereinigten Staaten trennt, ist im 21. Jahrhundert das Sinnbild schlechthin der Kehrseite des Kapitalismus. (Gemeinfrei)

 

Gerade diese Migration konnte historisch im Innern der – weissen – USA jedoch stattfinden, als jederzeit die Möglichkeit bestand, nach Westen auszuweichen, wenn es opportun schien (mittlerweile sorgt die Personenfreizügigkeit auch im grössten Binnenmarkt der Welt, der Europäischen Union, für diese Bewegungsfreiheit). Dass dies einerseits nur auf Kosten anderer Menschen – Stichwort ‹Indianerkriege› – geschehen konnte und diese euphorischen Zeiten des Aufbaus eines Landes andererseits längst vorbei sind, wäre nicht nur eine Erwähnung wert, sondern erforderte auch ein Umdenken.

Selbstkritik? Fehlanzeige!

Ein Umdenken, das den Blick einmal nach innen richtet, statt mit dem tief eingegrabenen Konkurrenzdenken des freien Markts auf relativen Vorteil zu schielen und zur Selbstvergewisserung unredliche Vergleiche mit autokratischen Regimen zu ziehen. Auch Adam Smith schrieb übrigens vor dem Hintergrund schier uneingeschränkter Bewegungsfreiheit. Diese fiel allerdings am Anfang des Aufstiegs Grossbritanniens zur grössten Kolonialmacht im 18. Jahrhundert, als das Land Soldaten in alle Welt exportierte und massenweise Menschen in die frisch eroberten Kolonien auswanderten, so einseitig aus wie die Westbewegung der Siedler:innen im glorifizierten Wilden Westen der Vereinigten Staaten.

Die Unfähigkeit, den Blick selbstkritisch nach innen zu richten, zeigt sich etwa in Friedmans kruder Darstellung von Anreizstrukturen. Fast ausschliesslich wirken seine Menschen extrinsisch, d.h. von der Aussicht auf materielle Gewinne, angetrieben. Kaum je agieren sie intrinsisch motiviert. Sie tun – dem protestantischen Ethos fleissiger Effizienz zu Ehren, auf dessen Basis die Vereinigten Staaten gegründet wurden – nichts zum Vergnügen.

 

Menschen wie Marktmarionetten

 

Stattdessen erscheinen sie, wie wenn ihre handwerklichen Tätigkeiten nach Belieben von ihren Personen zu trennen wären, als Käufer:innen und Verkäufer:innen. Dabei passen sie ihre Tätigkeit jederzeit der Nachfrage an, als ob je nach Bedarf aus Schuhmacher:innen über Nacht Korbflechter:innen werden könnten. Brauchen Friedmans Käufer:innen und Verkäufer:innen für ihre Aktivität einen Markt, sollte die Regierung – zugegebenermassen – nicht intervenieren.

 

Die Penetranz von Werbung als Inbegriff des Markts wie am Piccadilly Circus in London ist mittlerweile grenzenlos. (© Sebastian Bartalan, CC BY 2.5)

 

Angesichts der Tatsache, dass der Markt mittlerweile in die hintersten Winkel menschlicher Lebenswelt vordringt und wir ihn kaum mehr selbstbestimmt aufsuchen, sondern von ihm in andauernder Aufdringlichkeit heimgesucht werden, klingen die Phrasen von der Wahlfreiheit allerdings zynisch. Umso drängender bleibt die Frage, wo ein Markt sein soll und wo nicht. Bei Konsumgütern scheint die Frage leicht zu beantworten. Bei Gütern wie Gesundheit oder Bildung fällt das schon schwerer.

 

Räuberbarone und Steuerpolitik

 

Offensichtlich wird, dass die Gegenüberstellung im 21. Jahrhundert längst nicht mehr eine von freier Marktwirtschaft und Planwirtschaft sein kann. Es geht schliesslich nicht darum, Unternehmer:innen jederzeit zu diktieren, was sie herstellen sollen. Aber zumindest die horrenden Gewinne einzelner Menschen und Firmen müssten abgeschöpft werden, damit der soziale Frieden gewahrt und diejenige Infrastruktur, die unserem Wohlstand zugrunde liegt, ebenso erhalten bleibt wie eine lebensfreundliche Umwelt.

 

Cornelius Vanderbilt soll aufgrund seiner rücksichtslosen Geschäftspraktiken der Inbegriff des Räuberbarons gewesen sein. (Gemeinfrei)

 

Scheint inzwischen in den USA die Zeit der sogenannten robber barons (Räuberbarone) wieder angebrochen zu sein, verliert Friedman dennoch kein Wort über das Ende des 19. Jahrhunderts, als in den USA der Monopolkapitalismus grassierte und schwerreiche Magnaten wie Andrew Carnegie oder John D. Rockefeller hervorbrachte. Stattdessen glorifiziert er die freiwillige Einwanderung armer Europäer:innen (seine ungarischen Eltern wanderten aus der Donaumonarchie ein) dank der lockeren Einwanderungsregelungen um die Jahrhundertwende, um daneben die erzwungene Einwanderung von Millionen von Sklav:innen in die Vereinigten Staaten hundert Jahre früher zu vergessen.

 

Der Mythos symmetrischer Geschäftsbeziehungen

 

Armen – und unterdrückten – Leuten die Freiheit zu lassen, ihr Glück zu versuchen, ist jederzeit ehrenwert, bedingt allerdings, das Machtgebaren der Privilegierten einzuschränken. Denn Geschäftsbeziehungen sind entgegen ihrer theoretischen Idealisierung nur selten symmetrisch. Überspitzt gesagt: Im Zweifelsfall verliert, wer zuerst Hunger hat. Der individuelle Austausch auf dem Markt funktioniert gerade so lange, wie einzelne Handwerker:innen miteinander interagieren. Sobald sich grössere Vereinigungen wie etwa Fabriken etablieren, die in privatem Besitz sind, droht jederzeit ein Staat im Staat zu entstehen. Angesichts dessen von persönlicher Entscheidungsfreiheit statt von Marktmacht zu sprechen, ist noch einmal zynisch.

Ende des 19. Jahrhunderts etwa ging die paternalistische Macht von Grossindustriellen (und an dieser Stelle wäre das Gendern wohl nicht angebracht) im Ruhrgebiet so weit, dass sie über die Heirat ihrer jungen Arbeiter:innen bestimmten. Im Gegenzug sorgten sie für ein bescheidenes Wohlbefinden ihrer Schützlinge, indem sie nicht nur Löhne zahlten, sondern auch anständige Behausungen an sie vermieteten. An Gestaltungsfreiheit im Leben blieb den Leuten freimütiger Alkoholkonsum. Wer in jedem Fall gewinnt, steht wohl ausser Frage.

 

Friedmans Selektivität

 

Friedmans Blick bleibt allzu häufig selektiv, sodass er – bei aller Faszination für das wundersam-komplexe Zusammenspiel der Weltwirtschaft – eine unterkomplexe Geschichte erzählt. In seiner ahistorischen Erzählung verschwindet das Ende der Geschichte zugunsten der Freisetzung von wirtschaftlicher Dynamik nach anfänglicher Deregulierung. Am Ende allerdings könnte die Vernachlässigung der ärmsten – und meist auch ungebildetsten – Menschen wünschenswert sein, wenn einzig wirtschaftliche Dynamik und Effizienz der Massstab wären. Dass Menschen mit Beeinträchtigung in modernen Massengesellschaften auf staatliche Hilfe zählen dürfen, scheint fraglos. Aber wo ist die Grenze der Bedürftigkeit zu ziehen? Fast drängen sich angesichts von Effizienzforderungen eugenische Fantasien auf. Friedmans jüdische Eltern werden nicht zuletzt dem Antisemitismus in Europa entflohen sein.

 

Die weite Verbreitung des Antisemitismus in Europa Ende des 19. Jahrhunderts liess eine Analogie zwischen der Dreyfus-Affäre in Frankreich und einem Ritualmord-Prozess im Kaiserreich Österreich-Ungarn naheliegend erscheinen. Im Prozess wurde Leopold Hilsner, ein tschechischer Jude, fälschlicherweise beschuldigt, einen Ritualmord an einer christlichen Frau begangen zu haben. (Gemeinfrei)

 

Fällt die Beantwortung der Frage nach dem freien Markt für Konsumgüter zunächst leicht, wirft sie angesichts des Klimawandels auch Fragen auf (und Friedman selbst thematisiert den Umweltschutz). Unsere Produktionskapazitäten überschreiten längst jedes sinnvolle Mass und treiben den Fortschrittsglauben ins Absurde. Genau dieser aber liegt Friedmans Welt zugrunde und aus ihm heraus definiert er das Scheitern des US-Regierungssystems, wenn er am Ende seines Essays schreibt: «[E]very generation has been better schooled than its predecessor and has had a higher standard of living. The coming generation threatens to be the first for which that is not true, and that would be a major tragedy.» (Jede Generation hatte ein besseres Leben als die vorherige und einen höheren Lebensstandard. Die kommende Generation droht die erste zu sein, für die das nicht mehr gilt, und das wäre eine grosse Tragödie.)

 

Tragödie für Fantasielose

 

Dahingestellt sein mag, ob es sich dabei wirklich um eine grosse Tragödie handelte, wenn der Lebensstandard sänke. Sicherlich aber wäre eine Tragödie, wenn die Anreizstruktur einer Bildungseinrichtung dank der Privatisierung nur noch darin bestünde, reiche Abgänger:innen hervorzubringen, damit horrende Spenden an eine Privatuniversität zurückfliessen. Meine Bildung jedenfalls – und ich kann von Glück sagen, viel Bildung genossen zu haben – nutze ich lieber dazu, Essays über Milton Friedman zu schreiben, als mich mit Investitionsentscheidungen zu quälen.

 

 

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